Die Geschichte zum Buch: Unser Senf zur Übersetzung

Die Inhalte auf dieser Seite findet ihr als letztes Kapitel im Buch: Die Geschichte zum Buch bzw. unser Purpose-To-Practice für die Übersetzung:

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Purpose: Was ist das Ziel bzw. der Sinn und Zweck für die Übersetzung?

Unser Ansporn für die Übersetzung ist es, neben den bereits auf Deutsch verfügbaren Strukturen auch das wertvolle Hintergrundwissen und die Philosophie zu Liberating Structures zugänglich zumachen. Wir beide haben bei jedem Lesen der Originalausgabe immer wieder Aha-Momente gehabt und wollten es auch anderen Anwender:innen ermöglichen, diese in ihrer Muttersprache zu erleben. 

Unser eigener Antrieb, liebevoll selfish need genannt, besteht darin, unsere eigene Praxis der Anwendung von Liberating Structures zu vertiefen. Denn das Original in den deutschen Sprach- und Kulturraum zu übertragen bedeutet, dass wir uns intensiv mit Liberating Structures auseinandersetzen müssen. Gut also, dass wir genau das leidenschaftlich gern tun. 

Principles: Welche Grundsätze und Leitplanken sind Grundlage für unsere Entscheidungen auf dem Weg?

Dies ist eine Übersetzung von Keith und Henris Buch – und kein Buch von Anja Kässner und Birgit Nieschalk. Was so banal klingt, ist während der Arbeit immer wieder wichtig gewesen, denn es gibt Elemente in den Strukturen, die wir heute möglicherweise ergänzen oder auch anders beschreiben würden. Das gilt auch für Strukturen in Entwicklung oder die virtuelle Anwendung von Liberating Structures. Auch wenn es uns immer wieder in den Fingern kribbelte: Es ist „nur“ eine Übersetzung. Kleinere Anpassungen haben wir hier und da vorgenommen, wo es dem besseren Verständnis dient. Wir haben z. B. die Reihenfolge einer Aufzählung gedreht, einem langen Satz Aufzählungszeichen gegönnt oder einen erklärenden Satz hinzugefügt.

Gleichzeitig übertragen wir ein Werk in einen anderen Sprach- und Kulturraum, und hier wird es eben doch wieder etwas komplexer. Es geht nicht nur darum, das richtige deutsche Wort für ein englisches zu finden, sondern Leser:innen im deutschsprachigen Raum Inhalte zur Verfügung zu stellen, die in diesen Kontext passen. Da geht es zum Beispiel um imOriginal genannte Rollen in Organisationen, um eine andere Arbeitskultur, in der viel schneller Menschen entlassen werden, aber auch im Detail um Metaphern, Wortwitze und andere sprachliche Konstrukte, die in der Originalsprache funktionieren, in der direkten sprachlichen Übertragung jedoch nicht. Mit Keith und Henri haben wir abgestimmt, dass wir ihr Werk übersetzen, also kein eigenes Buch daraus machen, aber die Freiheit haben, dort, wo es nötig ist, sprachliche Anpassungen vorzunehmen. 

Practices: Was genau ist zu tun?

Die Übersetzung selbst

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, den etwas längeren Weg zu nehmen: Wir wollten selbst übersetzen, wohlwissend, dass wir eben keine professionellen Übersetzerinnen mit entsprechender Ausbildung sind. Gleichzeitig war von Anfang an genauso klar, dass es eben deswegen ein richtig gutes Übersetzungslektorat unserer Texte geben muss. Warum der längere Weg? Wir nutzen Liberating Structures jeden Tag in unserer Arbeit mit Organisationen. Wir wissen, wie die Strukturen gedacht sindund in der Praxis funktionieren. Und wo wir es nicht wissen, holen wir uns Hilfe direkt bei Keith und Henri. Wir sind auch jetzt, da das Buch fertig ist, davon überzeugt, dass unsere Erfahrung mit den Strukturen enorm wertvoll dabei ist, mehr Menschen von Liberating Structures zu begeistern und gleichzeitig derArbeit von Keith und Henri gerecht zu werden. Ehrlicherweise haben wir diese Entscheidung während des Übersetzungsprozesses vielleicht manchmal hinterfragt, aber jetzt, da wir unser „Senfkapitel“ hier schreiben, wissen wir, es war genau der richtige Weg.

Sprachlich alle einbeziehen

Wir möchten, dass möglichst viele das Buch zur Hand nehmen und direkt damit loslegen können, eine Liberating Structure auszuprobieren. Und zwar nicht nur diejenigen, die berufsbedingt gewohnheitsmäßig zu Fachliteratur greifen! Wir haben uns darum bemüht, möglichst wenig Jargon aus der Geschäftswelt einfließen zu lassen, auch wenn uns bewusst ist, dass Liberating Structures dort am häufigsten genutzt werden. Ein schönes Beispiel dafür sind die sprichwörtlichen Silos in Unternehmen. Wer in Organisationen und Konzernen arbeitet, weiß sofort, was gemeint ist: feste Grenzen zwischen Abteilungen und Teams, die Zusammenarbeit verhindern. Obwohl das auch zur Realität in anderen Kontexten gehört, wird es dort nicht sogenannt. Solche Jargon-Begrifflichkeiten haben wir gestrichen und stattdessen geschrieben, was damit gemeint ist, oder zumindest eine Erklärung ergänzt.

Strukturnamen und Kernbegriffe beibehalten

Die Namen der einzelnen LiberatingStructures sowie Kernbegriffe wie String oder Purpose belassen wir im englischen Original, um den Austausch und Dialog innerhalb der internationalen Liberating-Structures-Gemeinschaft zu erleichtern. Um das Buch dennoch zugänglich für alle zu halten, erklären wir den englischen Begriff jeweils bei der ersten Erwähnung und haben zusätzlich ein Glossar-Kapitel angelegt, in dem Kernbegriffe erklärt werden.

Gendern

Die Frage war nie, ob wir sprachlich gendern werden, sondern nur, wie. Was im englischen Original kaum eine Rolle spielt, ist in der deutschen Sprache ein riesiges Thema, mit dem wir uns intensiv auseinander gesetzt haben. Es macht einen Unterschied, ob vom „Chef“ gesprochen wird, oder von der Führungskraft. Bislang gibt es keine Vorgabe, wie Gendern „korrekt“ erfolgen sollte. Für das Buch haben wir uns für folgende Regel entschieden: Wenn es möglich ist, verzichten wir wie bei „Führungskraft“ auf gegenderte Bezeichnungen. Wenn das nicht möglich ist – z. B. weil kein genderneutrales Wort existiert –, nutzen wir den Binnen-Doppelpunkt. Wir möchten alle, die dieses Buch lesen und nutzen, dazu einladen, sich bewusst mit diesem Thema auseinanderzusetzen und auch sprachlich alle einzubeziehen, denn genau das entspricht dem Kern von Liberating Structures: alle zu beteiligen. 

Persönliche Ansprache innerhalb des Buches

In den ersten beiden Teilen des Buches geht es um das Konzept und die Philosophie, die Hintergründe und Zusammenhänge von Liberating Structures. Wie bei Sachbüchern in deutscherSprache üblich, siezen wir die Lesenden.

Im dritten Teil geht es um dieStrukturen, deren Beschreibung und Abläufe. Dieser Teil ist auch im Original so aufgebaut, dass man möglichst direkt damit arbeiten kann. In diesem Teilsprechen wir Gruppen an, die mit Liberating Structures arbeiten (mehr dazu im folgenden Abschnitt). Die Einladungen, also die Fragen oder Arbeitsaufträge an die Gruppe, sind in Du-Form geschrieben – wie es auch unter Liberating-Structures-Anwender:innen üblich ist. Wir selbst verwenden in unseren Workshops ein wertschätzendes Workshop-Du, das die Teilnehmenden noch stärker dazu einlädt, sich einzubringen und zu beteiligen. Deshalb haben wir uns in diesem Teil für die direktere Ansprache entschieden. 

Ansprache innerhalb der Strukturen

In der deutschen Sprache macht es einen Unterschied, wer angesprochen wird. Wenn im englischen Original ganz einfach steht: „invite participants“, dann muss in der Übersetzung eineEntscheidung getroffen werden. Lädt eine Person die Teilnehmenden ein, oder sorgt die Gruppe dafür, dass alle eingeladen werden? Auch wenn LiberatingStructures sehr häufig von Personen wie uns genutzt werden, die moderieren: Es handelt sich eben nicht um Methoden für Moderator:innen, sondern um Methoden, die die Zusammenarbeit von Gruppen strukturieren. Menschen, die in Teams undGruppen miteinander arbeiten, sollen Liberating Structures nutzen können, um alle bei dieser Arbeit einzubeziehen. Dazu braucht es nicht unbedingt eine externe Person, die moderiert. Diese Rolle kann von der Gruppe selbst übernommen werden. In der Beschreibung der Strukturen haben wir uns entschieden, eine Gruppe von Personen anzusprechen, statt einer einzelnenPerson. Wenn es notwendig ist, dass jemand in die Moderationsrolle schlüpft, haben wir dies natürlich dementsprechend formuliert. Hier ist ein Beispiel aus der Struktur Helping Heuristics, das gut zeigt, was wir mit der Ansprache ermöglichen wollen:

Gemeinsam mit unserem Lektor Sharif Bitar, der ganz entscheidend dabei geholfen hat, einen lesbaren Stil für diese Entscheidung zu entwickeln, sind wir überzeugt davon, dass dies die Intention von Keith und Henri noch einmal unterstreicht: Liberating Structures sind mehr als nur eine Ergänzung des Methodenköfferchens für die Moderation. Sie sindMikrostrukturen für alle und für jeden Tag, Teams können Liberating Structures ganz einfach selbst in der alltäglichen Zusammenarbeit nutzen. Wir hoffen, diese sprachliche Änderung macht die Übertragung in den Arbeitsalltag noch leichter.

Participants: Wer trägt zu dieser Übersetzung bei?

Das Kern-Übersetzungsteam sind Anja Kässner und Birgit Nieschalk, zwei erfahrene Anwenderinnen von Liberating Structures. Ebenfalls zum Kernteam zählt Sharif Bitar, der das Übersetzungslektorat übernommen hat.

Neben dem Kernteam gibt es da noch die Autoren des Originalbuches, Keith McCandless und Henri Lipmanowicz, die uns für Fragen und Ratschläge zur Seite standen. Auch für inhaltliche Knackpunkte, die wir in der Übersetzung klarer formulieren wollten, konnten wir uns jederzeit an die beiden wenden – herzlichen Dank dafür!

Und ebenfalls im Team: Das deutschsprachige Liberating-Structures-Netzwerk, und zwar sprachlich und organisatorisch. Für sprachliche „Nüsschen“, die es zu knacken gab, haben wir besonders zu Beginn des Projektes Menschen zu Nüsschen-Sessions eingeladen, die für die Übersetzung sehr wertvoll waren. Organisatorisch hat uns die deutschsprachige Community dabei geholfen, das Projekt zu stemmen. Wir haben Ende 2022 ein Crowdfunding durchgeführt, mit dem wir Dank der vielen Unterstützung Coverdesign, Übersetzungslektorat und die erste Auflage sichern konnten. Vielen lieben Dank an alle, die uns unterstützt haben!

Structure: Wie wir übersetzt und die Struktur des Buches angepasst haben

Die Übersetzung erfolgte in mehreren Runden. Wir haben zunächst den gesamten Text auf Deutsch übersetzt und diese Übersetzung gegengelesen. Erst danach kam das Übersetzungslektorat, das ebenfalls in mehreren Runden ablief.

Wir haben das gesamte Begleitmaterial neu erstellt und es direkt in den Text integriert. Abbildungen und Tabellen, die redundant waren oder vom Inhalt abwichen, haben wir weggelassen. Übrigens: Um schnell auf die Strukturbeschreibungen zugreifen zu können, finden Sie diese auch auf dieser Website.

Im Inhaltsteil, aber auch vor vielen Strukturen, stehen im englischen Original Zitate. Diese haben wir leider aus urheberrechtlichen Gründen in der Übersetzung weglassen müssen. Aus demselben Grund haben wir die Beschreibung der Methode Graphic Gameplan von David Sibbet entfernt, die in einem Beispiel-Ablauf kurz erwähnt wird. 

Die deutsche Übersetzung des Buches ist in drei Teile strukturiert. Teil I: Die verborgenen Strukturen von Zusammenarbeit legt die Grundlage für das Verständnis der Liberating Structures und erscheint hier erstmals in deutscher Sprache. Teil II: Loslegen und Weiterkommen enthält Beispiele für die Arbeit mit Mikrostrukturen und Teil III: Die 33 Liberating Structures die detaillierte Beschreibung der Liberating Structures. Je nach eigenerArbeitsweise kann es sinnvoll sein, zuerst die Struktur-Beschreibungen aus dem dritten Teil kennenzulernen, bevor man die Praxisanwendungen im zweiten Teil liest. Wir haben uns entschieden, die Reihenfolge des Original-Buches beizubehalten und nehmen an, dass die Leserinnen und Leser beim Lesen ohnehin zwischen den beiden Teilen hin- und herspringen. 

Das Originalbuch enthält in einem vierten Teil ausführliche Fallbeispiele der Anwendung von Liberating Structures. Diese stammen von Wegbegleiter:innen von Keith und Henri und sind zum allergrößten Teil im US-amerikanischen Raum angesiedelt. Wir haben uns gemeinsam mit Keith und Henri dafür entschieden, diesen Teil in der deutschen Übersetzung wegzulassen, weil jeder Versuch der Übertragung ein künstliches und wenig greifbares Ergebnis hervorbrachte. Darüber hinaus hat Birgit Nieschalk gemeinsam mit Anja Ebers das Buch Einfach.Zusammen.Arbeiten. herausgegeben. Dieses enthält vielfältige Praxisbeispiele, die direkt aus der deutschsprachigen Liberating-Structures-Community kommen. Dieses Buch ist aktueller und aus unserer Sicht relevanter als die Übersetzung von zehn Jahre alten Beispielen aus US-amerikanischen Organisationen. Ebenfalls auf Deutsch erschienen ist Daniel Steinhöfers Buch Liberating Structures: Entscheidungsfindung revolutionieren, das eine Weiterentwicklung derStrukturen und Daniels Erfahrungsschatz in der Arbeit mit Liberating Structures umfasst und die Arbeit mit den Strukturen so bereichert. Beide Bücher haben wir im Literaturverzeichnis aufgeführt.

Wie auch das Originalbuch erscheint die Übersetzung im Selbstverlag. Viele Entscheidungen, die wir während des Prozesses getroffen haben, hätten wir mit einem klassischen Verlag so nicht umsetzen können – beispielsweise unsere eigene Übersetzungsleistung und die Auswahl des Lektorats.

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Jede Entscheidung, die wir während des Übersetzungsprojektes getroffen haben, soll es leichter machen, Liberating Structures anzuwenden und zu verbreiten – und so gemeinsam eine bessere (Arbeits-)Welt zu schaffen. Für uns bedeutet das: Zusammenarbeit mit Leichtigkeit und Tiefe. Wir wünschen Ihnen ganz viel Freude beim Ausprobieren, Anwenden und Vertiefen – und dabei, überraschend gute Ergebnisse zu erzielen!

Anja Kässner & Birgit Nieschalk

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